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Nest

Gesammelte Objekte in einem Raum . 2003 bis 2021

Nest 01

Vor ca. 15 Jahren begann ich, Vogelnester zu sammeln, fasziniert von diesen Bauwerken, die ich ganz als Objekt, als Skulptur wahrnehme.

Es ist die Struktur der Behausung, die Eleganz der Geometrie, die Fragilität der Schönheit und eine Ästhetik der Zer-brechlichkeit die faszinieren. Ein Vogel erbaut sein Nest innerhalb nur weniger Tage, einem genetisch bedingten Impuls folgend. Sein Ziel ist die Aufzucht seiner Nachkommen. Nur wenige Wochen wird ihm das Nest als Unterkunft dienen. Keinerlei Ausbildung ist für den Bau nötig und dennoch scheint die Virtuosität des "Hausbauens" vollendet zu sein.

Um die verlassenen Vogelnester ihrem drohenden Verfall zu entziehen und sie zu bewahren, begann ich den Aufbau einer Sammlung. Über Jahre hinweg wurden mir Nester zugesandt oder überreicht, die ich dann, nahezu wissenschaftlich dokumentierend, mit den Namen der Finder, dem Fundort und mit dem Funddatum versah. So wurde die Sammlung zu einem wachsenden Archiv vorgefundener Objekte.

Diese Behausungen in einem ehemaligen Hühnerstall zu installieren, eröffnete die Möglichkeit zur Neupositionierung der Vogelnester als Objekte im Raum. Dafür erschien mir diese Räumlichkeit, diese "stille Kathedrale" interessanter als ein sogenannter "White Cube". Die "Ausstellung" verfolgt den künstlerischen Ansatz, die Objekte in einem ganz besonderen Raum neu erfahrbar zu machen.

Des weiteren erörtert die Situation auch einen archivarischen Aspekt: Lagerboxen, gefüllt mit Exponaten und die Andeutung einer Arbeitssituation erinnern an den Aufbau eines naturkundlichen Archivs.

Ich selbst habe auf die Herstellung von Artefakten verzichtet, übernehme die Funktion eines "Raumgestalters", überlasse den Auftritt den vorgefundenen Formen, den Nestern, der Perfektion der Natur.  

Nest 03

Die Bewohner haben ihre Behausungen verlassen

Gedanken zum Aufeinandertreffen tierischer und menschlicher Behausungen in der künstlerischen Arbeit „Nest“ von Andreas Bressmer.

Verlassene Vogelnester sind in einem aufgegebenen Hühnerstall versammelt worden und ebensolche verlassene Vogelnester türmen sich auf kleinen Modellhäuschen – eindringlicher kann ein Dialog zwischen Natur und Kultur nicht ins Bild gebracht werden. Beide Male werden wir konfrontiert mit der Frage des „in der Welt Seins“, verkörpert durch die möglichen Erscheinungsformen von Behausungen.

Andreas Bressmer hat lange akribisch gesammelt. Die Faszination für das Vogelnest, hier das verlassene, aufgegebene, ist verständlich, sind sie doch Wunderwerke, perfekt angepasst an die Rundung des Vogelkörpers. Ja, dieser kleine Vogelkörper war Form gebend und wo, wenn nicht hier, kann man den Gedanken der Behausung als einer zweiten Hülle wahrhaft gut nachvollziehen. Das verlassene, gesammelte Nest wird nun allerdings zu einem Objekt und damit zu einer Möglichkeit der Anschauung und hier in Andreas Bressmers Werk zu einem Objekt der künstlerischen Aussage.

Verlassene Vogelnester befinden sich hängend und liegend in einem aufgegebenen Hühnerstall. Der Charme des Ortes wird vom Besucher der Installation sofort wahrgenommen. Er darf dies Kunstwerk ein Stück weit betreten, und unweigerlich wird er vorsichtige Schritte wählen, möchte er die bestehende Ordnung nicht beschädigen. Nur eine zu rasche Bewegung verursacht bereits Luftzüge, die das fragile Gebilde an unsichtbaren Fäden in Bewegung bringt. Sehr sensibel sind sie gehängt, die Nester, sie hängen an schlanken, an der Decke des Raumes verkeilten Ästen. Eine fein anmutende Einfachheit und Stärke der Installation beeindrucken den Betrachter, dessen Blick dann auf weitere, am Boden liegende und auf den Sprossen einer Leiter arrangierten Nester zum Ruhen kommt. Das Licht fällt ein durch ein kleines Fenster im oberen Wandbereich. Eigentlich ist es ein  spärliches Licht, doch flutet es den Raum mit einer wunderbar sanften Helligkeit. Vor dem Hühnerstall betont die Andeutung einer Arbeitssituation, dass hier ein Mensch am Archivieren, Konservieren und Systematisieren war. Es wurde ein Nest in ein anderes gebaut.

Das Nest ist ein Versteck für seine gefiederten Bewohner. Es bietet Schutz durch Unauffälligkeit und schlechte Erreichbarkeit. Doch neben weiblicher, bergender Funktion ist dem Nest auch eine große Offenheit zu Eigen. Nichts und niemand wird den flügge gewordenen Jungvogel aufhalten, sich aufzuschwingen; nichts und niemand wird ihn einsperren oder gefangen halten. Die Natur kann sich frei entfalten, auffalten und zur ihr eigenen Form kommen.

Anders natürlich sind die Bedingungen im Hühnerstall. Dieser bietet auch Schutz, stellt vielleicht sogar ein Versteck dar. Doch hier muss sich das Tier dem formgebenden Willen des Menschen fügen. Der Mensch hat die Behausung nach seinen Kriterien der Sicherheit und Effizienz gebaut, ganz so, wie er auch mit sich selbst verfährt. Sesshaftigkeit hat mehr Sicherheit durch Kultivierung errungen, aber natürlich auch gleichzeitig den Aspekt der Freiheit verblassen lassen. Hat der Hühnerstall eines Bauernhauses noch einen gewissen Charme im Eingesperrtsein vorzuweisen, so ist doch der Weg zur Effizienz einer Legebatterie schon vorauszuahnen. Natürlich, nicht nur für das Tier baut der Mensch kubische Räume, sondern in erster Linie für sich selbst. Sämtliche kulturelle Errungenschaften des Menschen haben neben Verbesserungen der Lebensbedingungen aber auch dessen unwürdigste Behausungen hervorgebracht.

Die zweite Werkgruppe in Andreas Bressmers Arbeit „Nest“ zeigt Fotografien surrealer Arrangements. Verlassene Vogel-nester „thronen“ auf  kleinen Modellhäuschen, sie scheinen diese fast in die Knie zu zwingen. Verschiedene Wohn-hausformen finden in dieser fotografischen Arbeit Verwendung: Wohnsilos älterer und neuerer Art, sowie auch adrette Villen und Einfamilienhäuser. Doch auf allen diesen Dächer findet ein „gefühlt riesiges“ Vogelnest seinen Platz.  Und diese sind keine so wunderbar schmückende Nester, wie die des Storches, auf den wir mit Stolz blicken und uns freuen, dass er sich dazu herablässt, auf unseren Gebäuden seine Nachkommen aufzuziehen. Nein, diese Nester auf jenen Häusern werden für uns und unser Weltbild zur Bedrohung. Vielleicht bleibt uns nun nichts anderes, als, ganz klein, aus den Fenstern heraus zu klettern und in die Nester zu krabbeln. Wir werden dort vielleicht neue Horizonte sehen und utopische Wohnformen aussinnen, die uns bestenfalls zu neuen Lebensformen beflügeln werden. Natur und Kultur treten durch diese fotografischen Arbeiten in einen heftigen Dialog, der nicht ohne ein Messen der Kräfte vonstatten geht.

In beiden Werkgruppen der künstlerischer Arbeit „Nest“ von Andreas Bressmer ist neben einer wunderbar leichten und selbstverständlichen Gestaltungskraft auch eine große reflexive Kraft enthalten, die uns neu über unser in “der Welt sein” und damit verbunden unseren Standpunkt in der Natur gewahr werden lässt.

Text . Kathleen Jahn . Juni 2021

Nest - Haus (1) Nest - Haus (2) Nest - Haus (3)
Nest - Haus (4) Nest - Haus (5) Nest - Haus (6)

Fotografien / Häuser

Fotografien / Nest

Nest 05

Hohenstaufen. Fast ganz oben im Ort wirkt Bruno Nagel als Wortkunst-Schaffender. Die ehemalige Bäckerei von Willy Nothardt dient ihm als 'Sprachbehausung'. Anstelle ausgefallener Lesungen räumte Nagel den kleinen Anbau leer, in dem einst die Hühner der Bäckersfamilie, und von Zeit zu Zeit ein Schwein, untergebracht waren. Raus mit Gitterstäben und Trog, den Staub vergangener Zeit ausgewaschen, entstand im Lichtstrahl, der durch ein kleines Fenster leuchtet, ein sehr besonderer Freiraum. Bruno Nagel war begeistert: „der perfekte Ausstellungsraum“. 'Hühnerstallen' ist das Kleinod benannt, die erste Ausstellung: 'Nest.' von Andreas Bressmer. Der ist, weit über die Region hinaus, vor allem durch seine kunstschaffenden Wanderungen entlang bemerkenswerter Grenzen und Linien bekannt. Im 'Hühnerstallen' hat er nun den „bestmöglichen Raum für meine Sammlung von Nestern“ gefunden. Seit über zehn Jahren sammelt der Göppinger Künstler verlassene Vogelnester. Tief beeindruckt von deren Schönheit, von deren Bauweisen, von deren Mannigfaltigkeit, fand er bislang an die hundert Vogelbehausungen. „Keines ist wie ein anderes, jedes ist für sich ein Kunstwerk.“ Im winzigen Durchgang zum 'Hühnerstallen' ist nun seine Werkstatt zu sehen: Schere, Zange, Nylonfaden, Draht. Behutsam platzierte er einen Teil seiner Nest-Sammlung im ehemaligen Hühnerstall. Diese 'Ansammlung' entstand unter dem Eindruck vielerlei Gedanken und Empfindungen: „Das Nest als Baukunstwerk, meisterhaft geschaffen von Vögeln, die nie ein Handwerk gelernt oder Architektur studiert haben“; „Sie tragen den Bauplan in sich, jeder Vogel baut sein artspezifisches Nest an einen passenden Ort“; „Während ein Nest luftig gebaut ist, Fluchtmöglichkeiten offen läßt, schaffen Menschen sich ein Dach über dem Kopf und nach außen dicht abschließende Wände“; „Unterkünfte von wildlebenden Vögeln im geschlossenen Raum für domestizierte Vögel“ … Tritt man durch das Törchen in den Garten, folgt dem Plattenweg direkt hinein durch die niedere Tür in den 'Hühnerstallen', stockt einem der Atem. Stille empfängt den Menschen hier und eine Schlichtheit, die so vieles ermöglicht. Alleine, umgeben von zauberhaften Gebilden, im Lichtkegel des von außen herein schimmernden Tages, entsteht eine tiefe Ruhe. Eine geradezu feierliche Ruhe, beinahe wie in sakralen Räumen. Eines ist sicher: Besucherinnen dieser Ausstellung kommen anders heraus als sie hinein gegangen sind.

Text . Andrea Maier . Veröffentlicht in der Südwestpresse am 02. Juni 2021

Nest 04

Nest . Eine Ansammlung
23. Mai bis 28. Juni 2021
Geöffnet an jedem Freitag, Samstag und Sonntag von 12 bis 19 Uhr
in Bruno Nagels 'HUEHNERSTALLEN'
Kaiserbergsteige 12, Göppingen-Hohenstaufen

Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass alle gesammelten Stücke, definitiv erst weit nach der Brutzeit ihren Fundorten ent-nommen wurden und somit keine Tiere zu Schaden kamen.

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Film / Nest

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“Huehnerstallen”

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